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The Power to Believe

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The Power to Believe – Öl, Graphit auf Holz, 63 cm x 49 cm

Es gibt ein Bild der Hoffnung

Textauszug: Christian Kupke,

Versionen des Denkens. Version I: Enttäuschendes Denken
Berlin 2021, p. 99-101

Es gibt ein Bild von Detlef Günther, das für mich das, was ich einen „agnostischen Glauben“ nennen würde, verkörpert, genauer gesagt: sowohl den agnostischen Glauben als auch das in ihm – agnostisch – Geglaubte. Denn beides lässt sich für die, die nie einen Glauben hatten oder die ihn verloren haben, kaum mehr voneinander trennen. In seinem kleinen „Versuch einer Utopie“ schreibt der vor einigen Jahren verstorbene russische Schriftsteller Andrei Georgijewitsch Bitow hellsichtig: „Haben wir den Glauben verloren, wird die Utopie zu einer umso realeren Kategorie, denn sie glaubt – wenn nicht an Gott, so an den Glauben an Gott. “


Das Geglaubte in diesem Glauben ist also eher der Glaube selbst: als Utopie, als selbstreferenzielle Utopie, als Utopie, die sich in sich selbst stabilisiert, so wie dieses Bild von Detlef Günther, das, signifikanterweise, The Power to Believe heißt. Stellt es, so signifiziert, die Kraft des Glaubens dar oder das, was diese Kraft zu glauben erlaubt? Die Immanenz des Glaubens oder die Transzendenz des Ge- glaubten? Oder beides? Oder auch die – historisch / kulturell / psychologisch einmalige – Konstellation, in der Glaube und Utopie zusammentreten, ohne fortan getrennte Wege zu gehen?


Das Bild ist Teil einer Werkreihe mit dem Titel Grund. Transnaissance No. 2. Die Bilder dieser Reihe sind monochrom, nicht jedoch monoform schwarz. Insofern gehören sie zusammen, sind eins. Aber jedes von ihnen ist auch eines, eine individuelle Figur – individuell und figurativ kraft eines Blau, das sich dem Schwarz jeweils unterschiedlich mitteilt, es buchstäblich mit ihm teilt. Insofern stehen die Bilder in einem Korrespondenzverhältnis zueinander, sind, ohne ein Erstes oder ein Original, Varianten voneinander. Allerdings mit einer Ausnahme: der des letzten Bildes. Es ist das Einzige, das einen eigenen Titel trägt, während die anderen nummeriert sind (Grund 1, Grund 2 usw.).


Und nicht nur das: Statt durchgängig monochrom schwarz zu sein, besitzt das letzte Bild, im Unterschied zu allen anderen Bildern aus der Reihe, in seinem Zentrum ein kleines rechteckiges Farbfeld. Dessen Blau, das je nach Einfall des Lichts und nach Perspektive des Betrachters mal intensiver, mal weniger intensiv strahlt, verschwimmt mit dem es umgebenden schwarzen Grund und scheint sich nur mühsam davon abzuheben. Es ist, als ob sich die Blautöne der übrigen Bilder im letzten Bild konzentriert hätten oder als ob – umgekehrt – das dunkle Blau des letzten Bildes ins Schwarz der übrigen Bilder übergegangen sei.


Sieht man genauer hin, erkennt man, dass das Bild eine eigentümliche Faktur besitzt: Weil der Künstler mehrere Farbschichten übereinander gemalt hat, weist es eine Haptik auf, die jeden Illusionismus zurückweist. Die Schichten markieren, fast unsichtbar, zwei fensterähnliche Rahmen, so dass das Blau im Zentrum des Bildes eine fast magische Wirkung auf den Betrachter ausübt: als würde es den Betrachter anziehen oder ihm, umgekehrt, entgegenkommen, als würde es aus sich heraus leben, eine autonome Kraft sein – eben die im Titel bezeichnete Kraft des Glaubens.


Aber was ist es, was den Betrachter im Bild anzieht? Oder was ihm, umgekehrt, aus dem Bild entgegen- kommt? Wie soll man es benennen, welchen Namen soll es erhalten? Oder welchen Begriff? Trifft es, von Transzendenz zu sprechen? Detlef Günther behilft sich, unter Anspielung auf die Renaissance, mit dem Ausdruck Transnaissance, was wörtlich Jenseits-der-Geburt bedeutet. Aber welcher Geburt? Der Geburt des – menschlichen oder nicht-menschlichen? – Lebens? Des Lebens selbst als Geburt? Oder gar der Wiedergeburt der klassischen Antike durch die Renaissance? Der Ausdruck schillert zwischen einer momentanen, einer zeitlich-prozessualen und einer epochalen Bedeutung.


Welche Bedeutung auch immer zutrifft, ihr Wesentliches scheint mir im Umschlag von der Immanenz der Vergangenheit in die Transzendenz der Zukunft, in ihrem dialektischen Kurzschluss zu liegen. Das, was uns vom Vergangenen her als materieller Grund, als causa efficiens, anzieht oder motiviert, das Schwarz unserer Enttäuschungen auf uns zu nehmen, es zu durchmessen und darauf unsere Utopie zu gründen, ist zugleich das, was uns als logischer Grund, als causa finalis gleichsam entgegenkommt: das, um dessen willen wir in der Zeit als Subjekte sind oder selbst als Zeit die Enttäuschungen ertragen, die unser Leben mit sich bringt. Diesen Grund könnte man einfach Hoffnung nennen.

Den gesamten Bilderzyklus Grund können Sie hier sehen.